Mamulka — Die Mutter

Wachend saßen die Knechte auf der Wiese bei der Kreuzkirche in der Nacht, die sich friedlich um sie breitete. In der Nähe weideten ihre Pferde. Da und dort standen sie behaglich kauend im Dunkel wie plumpe Fabelwesen. Im Grase zirpten die Grillen, und ihr Gesang zog sich wie feiner Geigenton durch die Luft. Von Groß-Peterwitz schlug die Uhr zwölf. Wie aus fernem Märchenlande schwebten die Töne klingend über das Feld. Schweigend saßen die Hirten beieinander. Plötzlich zog ein sonderbares Geräusch in der Luft einher. Es war, als ob ein großer Vogel, rauschend und sausend, die Straße entlang flöge. Überrascht schauten die Hirten in die Höhe. Aber es war nichts zu sehen. Nur das seltsame Gleiten über den Bäumen zog ruhelos, straßauf, straßab, mit schwerem Flügelschlage. Gespannt horchten die Hirten. Regungslos standen die Pferde, und selbst die Grillen verstummten im hohen Grase. »Ma–mul–ko, Ma–mul–ko, Ma–mul–ko!« Dreimal derselbe Ruf. Sehnsuchtsbang, klagend, wie ein Kind, das in Not und Verlassenheit nach der Mutter verlangt, so scholl der Ruf irgendwoher aus der Stille. Erschauernd lauschten die Hirten in die Nacht. Hastend, wie suchend, rauschte das geheimnisvolle Wesen der Luft Straße auf, Straße ab. Doch plötzlich verstummte es. Wie voll banger Erwartung war das Schweigen ringsum. Da, ein schwerer Fall, als ob sich etwas aus der Höhe auf die Erde stürzte. Und eine zarte, liebe Stimme jauchzte in die Stille: »O, dass ich Dich endlich wiederhabe!« Wie ein süßes Kinderlied klang‘s, wie Lachen und seliges Weinen in inniger Wiedersehensfreude. Still, wie mit angehaltenem Atem, stand die dunkle Runde. In tiefer Ergriffenheit saßen die Hirten und wagten nicht, sich zu rühren. Zaghaft und leise fingen die Stimmen der Nacht um sie herum wieder zu raunen an. Aber die Hirten schwiegen noch lange, in Gedanken versunken, erfüllt von dem Ton der heiligen Stunde, da sich zwei Seelen, die sich liebten, nach schmerzlicher Trennung freudig wiedergefunden hatten.

Georg Hyckel, Was der Sagenborn rauscht, Ratibor 1924, S. 137